Ich weiß gar nicht mehr genau, wann ich zum ersten Mal vom „Mein Freiburg Marathon“ gehört habe. Aber ich wusste sofort, dass ich auch diesen Marathon einmal absolvieren werde, trotz der zwei Runden. Zwei-Runden Marathons sind ja nicht unbedingt das, was sich ein Läufer wünscht, aber für manche Städte mache ich gerne eine Ausnahme. Für Freiburg, zum Beispiel.
Es war Winter, als ich das erste Mal in Freiburg war. Es war im Januar 1986, ich hatte gerade die ALDI Filialen in Freiburg und Freiburg-Land zu Betreuung erhalten, wohnte noch in der schönen Stadt Rottweil, sehr zentral am Schwarzen Tor, und ich fuhr täglich durch den Schnee des Höllentals, morgens runter, abends rauf.
Ich brauchte nicht lange, um mich in diese Stadt zu verlieben. Die Stadt mit den kleinen Bächlein, die die Fußgängerzone durchziehen, die Stadt mit den niedrigen Häusern auch in den Haupteinkaufsstraßen. Gut, dass man dort in den Fünfzigern dem Drang widerstanden hat, schnell, billig und hoch wiederaufbauen zu lassen. Die Stadt im Dreiländereck, dort, wo mediterranes Klima herrscht, wo guter Wein wächst und wo die Uhren immer noch ein wenig anders gehen als anderswo, auch im Fußball. Freiburg, die grüne Stadt, die deutsche Großstadt, die als erste grün regiert wurde, schon damals, 2002, lange vor Fukushima.
Zwar regiert aktuell ein parteiloser Bürgermeister die Stadt, die Grünen stellen aber noch immer mit 14 der 48 Sitze die stärkste Fraktion im Freiburger Gemeinderat.
So viele Gründe also, warum Freiburg nach München die beliebteste Wohnstadt Deutschland ist.
Wir suchten damals eine neue Bleibe, auch um der täglichen Fahrerei zu entkommen und wir sahen uns nach Eigentumswohnungen rund um den Freiburger Seepark um. Das war damals auch das Gelände der Landesgartenschau. Dass wir letztlich dort doch nicht gekauft haben, das bedauere ich bis heute. Stattdessen haben wir uns eine Maisonette-Wohnung in der „Villa Palladio“ in Bad Krozingen gekauft, einfach, weil viel weniger Geld zu finanzieren war. Heute weiß ich, dass 1a Lagen immer besser sind und sich besser entwickeln als andere, reproduzierbare, Lagen.
Aber als ich letzten Sonntag den „Mein Freiburg Marathon“ als Pacer für 4:45 Stunden lief, da kamen wir ziemlich früh am Seepark vorbei. Natürlich hat sich vieles verändert in den fast 40 Jahren, die seither vergangen sind, über 35 Jahre, seit ich dort nicht mehr arbeite und in den Westen gezogen bin, aber dennoch erwischten mich die Erinnerungen, auch, als wir die Günterstalstraße überquerten, dort war auch einer meiner Läden und auch bei zwei weiteren Adressen. Was war das doch dort für eine schöne Zeit gewesen!
In etwa bei Kilometer 17 ging es dann durch das Stadttor in die kopfsteingepflasterte Innenstadt, die vielen Geschäfte, von denen ich kaum noch welche wiederfand.
Die Enoteca, in der mein Bruder eine Weile gearbeitet hatte, gibt es noch, aber vieles ist eben auch verschwunden. Wie schnell sich doch die Geschäftswelt in 35 Jahren verändert!
Aber der Charme der Stadt hat sich nicht verändert, obwohl ich schon immer mehr ein Fan der kleinen Gassen neben den Haupteinkaufsstraßen war, wo kleine Läden, pittoreske Restaurants und schräge Kneipen zu Hause sind.
Aber zum Freiburg Marathon … 9.30 Uhr ist der Start, so die Ausschreibung. Aber es wurde in Blöcken gestartet und selbst der Block A durfte nicht pünktlich los, weil noch zwei Autos abgeschleppt werden mussten. Das Lesen ist halt nicht jeder Person gegeben, die einen Parkplatz sucht.
Dann, als Block A gestartet war, geschah erst mal lange nichts mehr. Wir sahen die schnellen Läuferinnen und Läufer etwas entfernt zu unserer Rechten, weil die Strecke gleich zwei Mal nach rechts abbog. Es war ein schönes Bild, das diese schnelle Läuferschar abgegeben hat.
Dann startete der Block B, wieder eine lange Pause, dann startete der Block C. In diesem Block standen alle, deren Zeitziel unter 4 Stunden lag. Und nach der nächsten Pause, es war schon ein paar Minuten nach 10.00 Uhr, durfte Block D starten. Block D, das sind die Marathonis mit einer Zielzeit von über 4 Stunden, der „Partyblock“ wie der Moderator es despektierlich nannte.
Hier darf durchaus Kritik an dieser Moderation geäußert werden, denn für viele ist ein „sub 5h“ Marathon schon ein hehres Ziel und es hat weiß Gott nichts mit „Party“ zu tun.
Da ich als Pacer für 4:45 Stunden erst die Gruppe um die 4:00 Stunden Pacer abwarten musste, auch die Gruppe der 4:15 Stunden Pacer und der 4:30 Stunden Pacer, konnten wir uns im „Partyblock“ erst spät auf die Reise machen.
Wir waren zu dritt als Pacer für die 4:45 Stunden unterwegs und das war gut so, denn ab Kilometer 30 etwa tat ich mich sehr schwer. Ich musste immer mehr tun, um das Tempo zu halten, obwohl 6:45 Minuten pro Kilometer ja eigentlich keine große Sache für mich sein sollten.
In meiner Erinnerung bin ich noch schneller, eine Grundgeschwindigkeit von 5:20 Minuten pro Kilometer ist perfekt, ich bin noch gut in den 50ern und noch 8 Kilogramm leichter – in der Erinnerung halt.
In der Realität angekommen ist es schon so, dass ich froh bin, nicht mehr für schnellere Pacings als 4:30 Stunden zur Verfügung zu stehen. Und auch die sind weder „Party“ noch „Ponyhof“ für mich.
Die Strecke ist schnell beschrieben: Es sind 21,1 interessante, wunderschöne, Kilometer mit ziemlich vielen Zuschauern, mit 38 Bands an der Strecke, mit einer hervorragenden Marathonverpflegung (Wasser, Iso, später auch alkoholfreies Weizen – Bananen, Dextro Energy Flüssiggel), aber einer wirklich entscheidenden Schwäche.
In etwa bei Kilometer 16 gab es Dextro Energy Flüssiggel, ich nahm mir eines, spritzte es mir in den Mund und freute mich 21 Kilometer lang darauf, in der zweiten Runde erneut ein Päckchen nehmen zu können.
In der zweiten Runde aber war da … nichts mehr.
Warum, liebes Orga-Team, gebt Ihr das den Halbmarathonis für die letzten 5 Kilometer, vergesst aber, dass die Marathonis fünf Kilometer vor deren Ziel nicht weniger kaputt sind?
Überhaupt, Halbmarathonis und Marathonis. In Freiburg ist es wie in den anderen Städten, wo zwei gleiche Runden angeboten werden: 7.710 Halbmarathonis standen rund 1.124 Marathonis entgegen.
Dass die zweite Runde, dann ohne Halbmarathonis, erheblich ruhiger und leerer war, ist damit schon klar. Zu diesen Zahlen addierten sich 10 km Läufer, die Personen der Marathonstaffeln und die vielen Mädchen und Jungen der Schülerstaffeln, man tut halt alles, um der Öffentlichkeit und den Sponsoren möglichst hohe Teilnehmerzahlen nennen zu können, in diesem Fall waren es „über 14.000 Teilnehmer“.
Fakt ist aber, dass es also nur rund 8% der Teilnehmenden beim „Mein Freiburg Marathon“ waren, die wirklich den Freiburg Marathon gelaufen sind, ein Trend, den es auch in Bonn, in Mainz und bei den letzten Marathons von Mönchengladbach zu sehen gab.
Der „Mein Freiburg Marathon“ ist ein sehr schöner Lauf, aber kein schneller Lauf. Der Sieger brauchte 2:25:30 Stunden für den Kurs, die Siegerin 2:43:47 Stunden, häufige und teils enge Kurven, insgesamt mehr als 200 Höhenmeter und das Kopfsteinpflaster in der Innenstadt bremsten die Teilnehmerschar aus. Kein Marathon also, um an seiner „PB“ (persönlichen Bestzeit) zu schrauben, aber ein Marathon, um seinen Schatz an schönen Erinnerungen zu erweitern.
Es war dann in etwa bei Kilometer 38, als meine Mitpacer mich von hinten überholten, ich befand mich gerade in einem physischen und psychischen Loch, als ich Robin, einen der Mitpacer, bat, meine Fahne aus dem Rucksack zu ziehen. Ich nahm sie dann auseinander und trug sie in der Hand Richtung Ziel.
Ich wollte einfach nicht, dass sich noch jemand an mir orientierte und ich rechnete mit einer Verlangsamung auf über 7 Minuten pro Kilometer, das Zeitziel 4:44:59 Stunden schien nicht mehr erreichbar.
Aber dann, ohne den psychischen Druck des Pacers, ging es plötzlich wieder. Erst hielt ich den Abstand zu den Mitpacern, der durch das Auseinanderbauen und Einwickeln der Fahne entstanden ist, dann verkürzte ich den Abstand und schließlich passierte ich die beiden irgendwann.
„Nur noch rein ins Ziel“, dachte ich. Langsamer werden wollte ich nicht mehr, nur noch rein, nur noch rein, nur noch rein ins Ziel …
Meine Zielzeit von 4:43:06 Stunden war letztlich knapp zwei Minuten „zu schnell“, meine Mitpacer Allyn und Robin kamen mit 4:45:06 Stunden etwas genauer ins Ziel – und sicherlich mit weniger Schmerzen.
Im Ziel gab es dann die Medaille, eine große, sehr schöne Medaille, mit einem Innenteil, das man rotieren lassen kann. Vielen Dank dafür.
Und es gab alkoholfreies Bier, alkoholfreies Weizen, leicht alkoholhaltiges Radler und noch einmal ein alkoholfreies Weizen.
Mehr wollte ich nicht. Nicht die Bananen, nicht den Joghurt, nicht die Maultaschen mit Kartoffelsalat, wobei ich sowieso nicht wusste, ob es überhaupt vegetarische Maultaschen gab. Ich wollte möglichst schnell nach Hause, immerhin waren ja noch rund 500 Kilometer zu fahren.
Das aber übernahm dankenswerterweise Marita, sodass ich mich auf der Autofahrt ein wenig entspannen konnte, auch eine kleine „Mütze Schlaf“ war drin.
Mein Fazit: Freiburg ist eine Reise wert, Freiburg ist einen Lauf wert, ob hier der Halbmarathon genügt, muss jeder selbst entscheiden. Für mich war der „Mein Freiburg Marathon“ aber auch eine Reise in meine frühen Erwachsenenjahre.
Es war eine sehr, sehr schöne Reise.